Einhaltung der Grenzwerte nach dem VW-Update?

Volkswagen behauptet, nach dem Software-Update würden die europäischen Grenzwerte für den NOx-Ausstoß im Abgas von Dieselfahrzeugen eingehalten. Diese müssten schließlich nur auf Prüfständen eingehalten werden. Zudem sieht sich VW offensichtlich auch berechtigt, in ihrer Diesel-Software sog. "Thermofenster" einzubauen, die bei bestimmten Außentemperaturen die Abgasreinigung ausschalten oder vermindern.

 

Die Auffassungen von VW entsprechen nicht der europäischen Rechtslage. Die europarechtlichen Regelungen zum Typengenehmigungsverfahren für Kraftfahrzeuge sind in der Richtlinie 2007/46/EG9 (Rahmenrichtlinie) niedergelegt, die einschlägigen emissionsbezogenen Regelungen für leichte Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge (Euro 5 und Euro 6) sind der Kodezisions-Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vom 20. Juni 2007 (Emissions-Grundverordnung), der diese Verordnung durchführenden Komitologie-Verordnung (EG) Nr. 692/200812 (Durchführungsverordnung) sowie der von dieser teilweise in Bezug genommenen UN/ECE-Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa13 zu entnehmen. Bezüglich Abschalteinrichtungen bestimmt Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung: 

 

 

 „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.“

 

 

 

Dabei wird der Begriff der Abschalteinrichtung (englisch: defeat device) von Artikel 3 Nr. 10 Emissions-Grundverordnung legaldefiniert als 

 

 

 

 „…ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

 

 

 

Artikel 5 Absatz 1 Emissions-Grundverordnung legt ausdrücklich ausdrücklich fest, dass der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten hat, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit bringt Verordnungsgeber klar zum Ausdruck, dass den ermittelten Werten eine Aussagekraft für den „praktischen Fahrzeugbetrieb“ im Alltag zukommen soll.  Artikel 4 Absatz 2 Emissions-Grundverordnung bestimmt zudem, dass die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen müssen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während

 

 

 

„der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden.“

 

 

 

Und Artikel 3 Nr. 5 Durchführungsverordnung bestimmt, dass der Hersteller technische Maßnahmen zu ergreifen habe, um zu gewährleisten, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen der Fahrzeuge

 

 

 

„während ihrer gesamten normalen Lebensdauer und bei normaler Nutzung entsprechend den Vorschriften dieser Verordnung wirksam begrenzt werden.“

 

 

 

Die Betrachtung der vorliegenden europäischen Regelungen zu Abschalteinrichtungen ergibt eindeutig, dass der Einsatz von Abschalteinrichtungen vor allem im Interesse des Umwelt- und Gesundheitsschutzes grundsätzlich untersagt ist. Lediglich in den ausdrücklich in den Regelungstexten benannten, im Wesentlichen technisch gerechtfertigten Ausnahmefällen bzw. Privilegierungen wird der punktuelle, vorübergehende Einsatz von Abschalteinrichtungen privilegiert. Ihre Verwendung ist aber nur dann zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Eine generelle Abschaltung der Abgasreinigung bei bestimmten Außentemperaturen ist von dieser Ausnahmevorschrift nicht gedeckt.

 

 

Die Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags hat deshalb in einem entsprechenden Gutachten festgestellt:

 

„Die auf den Schutz des Motors abzielende Privilegierung nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung dürfte deshalb grundsätzlich keine taugliche Rechtsgrundlage dafür sein, eine Abschalteinrichtung regelmäßig auch bei solchen Betriebsbedingungen, die bei normalem, bestimmungsgemäßem Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise eintreten, legal greifen zu lassen.

 

Dies gilt insbesondere auch für den Betrieb bei niedrigen Umgebungstemperaturen.“

 

 

 

 

 

Das LG Hamburg hat dazu im Urteil vom 07. März 2018 – 329 O 105/17 –, festgestellt:

„Der Durchschnittskäufer kann bei einem Autokauf erwarten, dass das von ihm erworbene Fahrzeug die Abgaswerte einhält, und zwar nicht nur durch eine beigefügte Software für den Prüfstand. Er kann erwarten, dass alle laufenden Prozesse auf dem Prüfstand auch im normalen Fahrbetrieb aktiv bleiben und der Prüfstand somit die reale Fahrsituation nachbildet.“

 

Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag von VW, die geltenden NOx-Emissionswerte müssten nur auf Prüfständen eingehalten werden oder rechtfertigten bei bestimmten Außentemperaturen den Einsatz einer Abschaltsoftware, abwegig. Es handelt sich um Mängel der betroffenen Fahrzeuge und möglicher Weise sogar erneut um eine bewusste Täuschung der Verbraucher.